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Bastard

Deutschland 2011 / Drama / 121 Minuten / Regie: Carsten Unger / ab 12 Jahren freigegeben

Interview mit dem Regisseur

Gab es für diese Geschichte einen Auslöser, einen realen Aufhänger?

Ich stand in Köln an der U-Bahn. Es war offenbar Schulschluss, denn der Bahnsteig war voll mit Kindern und ihren Stimmen, zwischen 10 und 12 Jahren alt. Ein Mädchen stand Abseits, allein, sie sah anders aus als die Anderen, etwas zu kurzer Rock, hohe Schuhe, stark geschminkt, aber sehr trendy. Sie sah befremdlich aus, ihr Körper war noch ein Kind, aber ihr Style schon total sexy. Irgendwie hat sie gemerkt, dass ich sie beobachte und ich hatte den Eindruck, dass es ihr gefällt. Sie kam auf mich zu und sprach mich an. Ich war ehrlich gesagt etwas verlegen, sie war ziemlich direkt. Dann hat sie mich gefragt, ob ich ihr eine Zigarette geben kann. Ich habe „Nein“ gesagt, doch sie hat nicht locker gelassen und ihre Stimme war dabei immer etwas zu leise, sodass ich Mühe hatte, sie zu verstehen und sie einen Vorwand hatte näher zu kommen. Dann kam ihre Bahn und sie wurde von den anderen Kids verschluckt. Die Bahn fuhr ab und mir wurde bewusst, dass ich gerade voll krass angeflirtet wurde, von einem 11-jährigen Kind. Ich fand die Begegnung irritierend und habe angefangen mir immer mehr Fragen über diese Mädchen zu stellen und daraus ist dann Mathilda entstanden. Dieser Moment, wenn Kinder noch nicht wissen, was sie tun, aber es schon können, das hat auf mich einen faszinierende und irritierende Wirkung: Ein Kind, dass völlig unbekümmert einer Spinne die Beine aus reißt. Das Kind hat zwar die Kraft und die Macht dazu, aber es hat noch kein Bewusstsein für sein Opfer und die Konsequenzen seiner Tat. In diesem Spannungsverhältnis zwischen „Können“ und „Noch nicht wissen“ steckt eine irritierende Wucht. Was passiert, wenn diese Wucht außer Kontrolle gerät? Wenn diese Kinder nicht mehr zu stoppen sind? Eine Mischung aus "Lord of the Flies" und "Clockwork Orange". Wenn sich unsere Kinder gegen die Erwachsenenwelt wenden und sich für all die Vernachlässigungen und gebrochenen Versprechen ihrer Eltern rächen?

Gibt es filmische Vorbilder für BASTARD, ästhetisch oder inhaltlich?

Sergio Leones Western. Diese pure Präzision in der Erzählung, glasklare Einstellungen, in denen Blicke, Schnitt und Dialog in einem Rhythmus sind. Dieses „Blicke-Tennis“, das hat uns inspiriert. Szenen, wie die „Hinrichtung“ oder das „Wer bin ich? - Spiel“, wollten wir erzählen, wie einen Western-Showdown, flirrende Spannung bis es knallt. Im Genre sitzt BASTARD bewusst zwischen den Stühlen, ein bisschen, wie ein pubertierender Jugendlicher, der sich störrisch gegen jede Kategorie der Erwachsenenwelt sträubt. Wir wollten eine Ästhetik, die der Welt der Kids entspricht, über die wir erzählen: ihrem Geschmack, ihrem Lebensgefühl, ihren Farben und ihrer Musik. BASTARD ist unser „Trojanisches Pferd“, mit dem wir auch die Kids erreichen wollen, die sich mit unserem Thema sonst nicht auseinander setzen würden. Als Debütanten hatten wir die Freiheit, uns über Genrekonventionen oder Ansprüchen eines Sendeplatzes hinwegzusetzen. Wir haben irgendwo geahnt, das wird der letzte Film sein, indem wir uns so naiv und frei ausprobieren können, denn nach BASTARD werden wir erwachsen sein. 

Was hat Sie für ihren ersten langen Film zu so einem heftigen Thema motiviert?

Ein Debütfilm in Deutschland ist ein Privileg, denn er ermöglicht enorme inhaltliche und formale Freiheiten. Wir wollten diese Freiheit auskosten und ein anspruchsvolles und unbequemes Thema anpacken. Gegen die begrenzten Mittel haben wir unseren Anspruch gestellt, dennoch hochwertiges Kino zu schaffen. Kreativität braucht Widerstand.

Glauben Sie, dass Kinder heutzutage eher Gefahr laufen, ihre emotionale Balance zu verlieren als in früheren Generationen?

Erwachsen werden ist immer gefährlich, jede Generation hat ihre Risiken. Ich scheue mich davor gesamtgesellschaftliche Trends zu beurteilen, dazu empfinde ich „unsere Gesellschaft“ als zu heterogen. BASTARD erzählt die Geschichte von zwei Kindern, die etwas Existenzielles vermissen, nennen wir es Liebe oder Anerkennung. Sie spüren, dass sie ohne diese Anerkennung nicht leben können und beschließen sich diese mit Gewalt zu holen. Die Suche nach Anerkennung und Identität ist für mich eine der Hauptursachen von Gewalt. In diesem Sinne ist BASTARD nicht nur eine Geschichte über zwei Kinder auf der Suche nach Liebe, sondern auch eine „kleine Geschichte über Gewalt“.

Wie bekommt man Kinder dazu, sich als Schauspieler in eine dunkle Welt zu bewegen, ohne dass sie dabei Schaden nehmen?

Spielfreude. Kinder spielen, niemand kann das so gut wie sie. Zumal Markus Krojer (Leon) schon reichlich Filmerfahrung hatte („Wer früher stirbt ist länger tot"). Wir haben unseren Schauspielern, den Kindern und den Erwachsen, eine Spielwiese geschaffen. Der Filmprozess setzt die Grenzen und bestimmt die Bühne, wir sprechen die Spielregeln ab und dann spielen wir los. Filme machen ist zuweilen anstrengend, aber macht auch höllischen Spaß. Solange klar ist, wo Phantasie beginnt und Realität aufhört, fällt es Kindern wahrscheinlich leichter zwischen den Welten zu wandern, als uns Erwachsenen. Während der gesamten Dreharbeiten wurden „unsere Kinder" von zwei Pädagoginnen begleitet und intensiv betreut. Auch über die eigentlichen Dreharbeiten hinaus standen sie den Kindern und ihren Familien als Ansprechpartner zur Verfügung und hatten ein Auge darauf, dass die Kinder einen guten Weg zurück vom zuweilen irrwitzigen Filmzirkus in ihr normales Leben finden. Der Gang zischen diesen beiden Welten ist meist die eigentliche Herausforderung, wie jeder Filmschaffende weiß.

Ihr Langfilmdebüt eröffnete die Hofer Filmtage vor einem sehr interessierten anspruchsvollen Branchenpublikum. Wie fühlen sie sich angesichts dieser Positionierung?

Den Eröffnungsfilm in Hof stellen zu dürfen, das war für uns alle eine sehr große Ehre, zumal wir schon mit „Der Blaue Affe“ und „Zahme Vögel“ die Chance hatten in Hof dabei zu sein. Heinz Badewitz' Filmprogramm inspiriert mich sehr und die Atmosphäre auf den Hofer Filmtagen ist sympathisch und angenehm unaufgeregt. Beeindruckend fand ich auch unsere Vorstellungen im Museum of Modern Art in New York. Um den Look für BASTARD zu entwickeln, haben wir uns Vorbilder in der Kunst gesucht. Besonders inspiriert haben uns die Grafiken von Tara McPherson, die Fotografien von Lillian Birnbaum und die Arbeiten von Balthus. Laurence Kardish, Film Kurator im MoMa, versteht sein Kino als Galerie und als wir BASTARD auf der MoMa-Leinwand zeigen durften, hatte ich das Gefühl unseren Film wieder zu seinen visuellen Ursprüngen zurückzuführen. Ein bewegender Moment war für mich auch als wir im Rahmen der Recherche für unser Nachfolgeprojekt „Radio Zhora“ in Afghanistan waren und BASTARD im Camp „Marmal in Masar–e Sharif“ vor Deutschen Soldaten gezeigt haben. Fern der Heimat und ihren Familien hat der Film eine ganz besondere und berührende Wirkung auf die Soldaten entfaltet.