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Könige der Welt

Deutschland 2017 / Dokumentarfilm / 94 Minuten / Regie: Christian von Brockhausen, Timo Großpietsch / ab 12 Jahren freigegeben

Interview mit den Regisseuren

Gespräch mit Christian von Brockhausen und Timo Großpietsch (Februar 2017)

Wie seid ihr dazu gekommen, einen Musikdokumentarfilm zu machen?

Christian von Brockhausen: Timo und ich saßen bei mir in der Wohnung. Ich war gerade eingezogen, es war noch nicht viel drin. Ein Kühlschrank, ein Sofa und eben dieses „Union-Youth“-Plakat an der Wand. Vier pickelige Typen, eine Rockband. Das Poster ist ein Relikt aus meiner Jugend: Bad Bentheim, mitten in Niedersachsen, lauter Garagen-Grunge, schöne Kuhweiden und Dosenbier. So hab’ ich die Pubertät in Erinnerung. Eine Band, die sich mit ihrer Musik hinaus in die Welt träumt – so wie es tausendfach vorkommt. Nur mit dem Unterschied, dass die Geschichte hinter dem Plakat und „Union Youth“ eine sehr wundersame ist. Fast eine Art Märchen, das man sich bei uns in der Gegend noch Jahre danach erzählt hat. Mit ziemlich vielen Lücken, Gerüchten und dazu gedichteten Anekdoten. Davon erzählte ich Timo. Und ich erzählte ihm, dass ich nie richtig verstanden habe, warum diese Geschichte so verrückt gelaufen ist. Timo wurde neugierig. Er stellte mir zig Fragen, auf die ich keine Antworten hatte. Da beschlossen wir, diese Antworten zu finden. Jedenfalls wollten wir es versuchen. Dass daraus wirklich ein Film wird – ich hätte es nie für möglich gehalten.

Timo Großpietsch: Das Praktische: Am Schlagzeug der Band saß Christians bester Kumpel Michael. Die beiden müssen jahrelang über die Geschichte gequatscht haben – und trotzdem blieben da dunkle Stellen. Ich schlug vor, Michael zu fragen, ob man daraus nicht einen Film machen kann. Die Geschichte eines norddeutschen Traums. Wir trafen den Drummer in einem indischen Restaurant auf St. Pauli. Na ja, wir aßen unfassbar scharfes Zeug, dann fragte ich Michael, ob wir seine Jugend verfilmen dürfen. Er bekam einen Hustenanfall. Zehn Tage später trafen wir einen Teil der alten Band in Berlin. Warum sie uns treffen wollten, war uns erst im Nachhinein klar. Die hatten vielleicht unbewusst gespürt, dass es was zu klären gibt. Und dann gab es kein Zurück mehr.

Vor vielen Jahren hatten die Jungs eine Chance, von der jeder Musiker träumt. Wie kam es dazu?

TG: Sie haben sich damals ein bisschen Geld besorgt, um vier Lieder provisorisch aufzunehmen. Und dann haben sie diese Lieder auf eine CD gebrannt und an sämtliche Labels geschickt, die sie gut fanden. Eines Tages klingelte das Telefon. Ein Mann aus L.A. war am anderen Ende des Hörers. Und zwar kein Geringerer als ein Typ von dem Label von Limp-Bizkit-Frontmann Fred Durst. Michael ging damals ans Telefon und hielt es für einen Telefonstreich. Aber dem Amerikaner war es ernst. Er wollte die Band sehen, sie sollten sofort für ihn im legendären Viper Room am Sunset Strip spielen. So etwas passiert einem, glaube ich, nur einmal im Leben. Vier Dorfjungs fliegen in die große weite Welt, ohne vorher je ein richtiges Konzert gespielt zu haben. Die Chance ihres Lebens.

Schon am Anfang des Films kommt es zu einer sehr intensiven Freundschaftsszene. Wie dreht man so eine Situation?

CvB: Wir hatten uns zu einem Probedreh verabredet und sind für ein Wochenende nach Berlin gefahren. Ergebnis offen. Meistens haben wir mit undichten Kopfhörern in einem verrauchten Proberaum gesessen und dem Krach zugehört. Aber es lief gut zwischen uns allen. Die vielen gemeinsamen Stunden ließen das Vertrauen wachsen. Michi und ich kennen uns seit dem Kindergarten. Das macht es in mancher Hinsicht leichter, manchmal aber auch viel schwerer. Der Sänger, Maze, war für mich zu dem Zeitpunkt noch eine Figur aus unzähligen Geschichten. Ich glaubte ihn zu kennen, in Wahrheit war er mir ein Rätsel. Maze verschwand damals einfach aus unserer Stadt. Michael machte sich oft Sorgen, wir besprachen das häufig abends bei ihm auf dem Sofa. Viele Jahre vor dem Film. Das war auch für mich eine intensive Erfahrung: nicht nur dort filmen zu dürfen, auch der Rollenwechsel von Michael und mir. Und dann auch Maze kennenzulernen. Seine tolle Stimme, die Aura, die Abgründe.

TG: Am Sonntag passierte es dann. Maze kam nicht zur Probe. Die Band erhielt einen Anruf, dass es diesmal ernst sei. Er hätte überdosiert. Christian und ich standen mit unseren Kameras im Proberaum und fühlten uns völlig fehl am Platz. Uns war klar, dass wir jetzt unsere Sachen zusammenpacken würden. Der Dreh ist geplatzt. Doch zu unserer Überraschung entschied die Band: „Ihr bleibt hier!“. Kurz danach schleppte sich Maze irgendwie zum Proberaum. Wir verabredeten, dass wir das Gespräch drehen dürfen – unter der Voraussetzung, dass die Gruppe ein Veto für diese Situation hat. Es entstand eine ziemlich ergreifende Szene: Sie zeigt den verzweifelten Versuch, den eigenen Kumpel vor sich selbst zu retten. Das war der Anfang einer langen Achterbahnfahrt. Ich weiß noch, wie Christian, Michael und ich mit dem Auto zurück nach Hamburg gefahren sind. Nach einem unfassbar anstrengenden Sonntag. „Da kommen wir nun alle nicht mehr raus“, sagte Michael. Und das wollten wir auch gar nicht.

Es ist auch ein Film über Freundschaft geworden, ein Film über eure Generation. War euch das beim Dreh bewusst?

TG: Das war uns am Anfang nicht bewusst. Wir sind mit Filmen wie „Absolute Giganten“ oder „Dorfpunks“ groß geworden. Filme über Jugend, den drängenden Ruf der großen weiten Welt, über die irrlichternden Träume, die wir alle in uns tragen. „Könige der Welt“ erzählt, was aus diesen Träumen geworden ist. Und ob sich die Wunden der Vergangenheit bei den Jungs schließen. Hier müssen wir uns bei unserer tollen Redakteurin Barbara Denz bedanken, die immer zu uns gehalten hat. Sie sah darin immer einen großen Stoff, auch in den Phasen, in denen wir die Übersicht verloren hatten. Und wir können da echt hilflos wirken! Der Film hat so viele Wendungen genommen und stand häufig auf der Kippe. Ohne Barbara hätten wir es nicht geschafft.

Wieso auf der Kippe?

CvB: Maze so intim bei einem Drogenentzug zu begleiten, sein Privatleben zu erzählen, die Jugend des besten Freundes auszuleuchten – das ist alles ein schmaler Grat. Natürlich überschreitet so ein Projekt die Grenze zwischen dem Beruflichen und dem Privaten. Zwischen Michael und mir hat es auch mal ordentlich gekracht. Da brauchte es manchmal nicht nur die Unterstützung von Timo und Barbara, sondern auch die meiner Partnerin, um Konflikte zu lösen. Das war Teamwork, wirklich, und zwar auf allen Ebenen.

TG: Ich weiß noch, wie Christian nachts mal anrief und sagte: „Jetzt ist alles im Arsch.“ Michael und er hatten sich ziemlich gestritten. Aber wir bekamen das schnell wieder in die Spur. Filmemachen hat halt auch was mit Einsammeln und Wegnehmen zu tun. Man nimmt sich Momente aus dem Leben anderer. Und der Gefilmte weiß nie, was ,die da‘ eigentlich genau aufgenommen haben. Solche Dreharbeiten haben sehr viel mit gegenseitigem Vertrauen zu tun. Und es ist ein Geben und Nehmen.

Ihr habt viel mehr Material gedreht, als im Film vorkommt. Wie entscheidet man beim Dokumentarfilm, was wichtig ist – und was nicht?

TG: Wir wussten zum Beispiel lange nicht, wie der Film enden soll. Müssen wir noch die Veröffentlichung der Platte abwarten, sollen wir mit der ersten großen Tour enden oder reicht die erste kleine Support-Tour? Wir wussten es nicht. Das Ergebnis war dann tatsächlich, dass wir ein halbes Drehjahr in die Tonne gekloppt haben. Aber so ist das halt, wir machen keinen Spielfilm.

CvB: Macht auch großen Spaß, dann alle anzurufen: ,Hi, danke dass wir noch ein halbes Jahr filmen durften. Wir haben uns geirrt, war leider umsonst. Mit besten Grüßen, Ihr Filmteam‘.

TG: Wir enden nun mit der ersten Support-Tour. Ein kleines eigenes Roadmovie im Film.

CvB: Wir brauchten zum Beispiel kein großes Hurricane-Konzert mehr. Denn im Schnitt spürte unsere Redakteurin Barbara Denz, dass es gar nicht um die Band-Karriere geht. Also nicht ausschließlich. Sondern dass sich ein großes Ende für den Film woanders verbirgt: nämlich in Mazes Entwicklung. Ob er es schafft oder nicht.

Nun lauft ihr mit eurem Film auf der Berlinale. Was bedeutet das für euch?

TG: Für uns geht ein Traum in Erfüllung und wir sind total dankbar. Es war einfach auch eine unglaubliche Zusammenarbeit mit Christian. Wir ergänzen uns und arbeiten fast symbiotisch zusammen. Wir haben beide eigene Handschriften, die sich nicht in die Quere kommen, sondern ein neues Ganzes ergeben. Das ist wundervoll und ich freue mich auf neue, gemeinsame Projekte.

CvB: Es ist unglaublich schön, wie sich für uns ein Kreis schließt. Unsere Geschichte hat in Berlin angefangen. Ohne Glamour, in einem eiskalten verrauchten Tonstudio, als diese Jungs wirklich am Abgrund standen. Und jetzt machen wir ein Gruppenfoto am Potsdamer Platz – unglaublich! Der Film erzählt von kleinen und großen Träumen. Manche werden unscharf und verschwinden irgendwann, einige werden mit dir erwachsen, andere jagen dich. Für uns als Filmemacher ist auch die Berlinale immer solch ein Traum gewesen. Einer, den man sich fast nicht traut zu träumen. Und das mit Timo zu erleben, ist für mich das Allerschönste.